Das edelste Glattleder ist aus natürlich gegerbter Pferdehaut und heißt Shell Cordovan. Eine Gerberei in Chicago ist der weltweit einzige Anbieter.
Sechs Monate sind vergangen, in denen das Leder in Ölen getränkt, mit Wachsen eingefettet, in Maschinen gepresst, gezogen, rasiert und gewalkt wurde. Und dann dauert es nur wenige Sekunden, in denen Lorenzo mit einem Schwamm sanft wie ein ayurvedischer Masseur über das feste und zugleich nachgiebige Leder reibt, bis die Schattierungen zum Vorschein kommen. Skip Horween nimmt das Leder und schwenkt es leicht, wie einen alten Cognac. Das diffuse Licht der Herbstsonne reflektiert in verschiedenen Tönen der Farbe Braun. "Siehst du? Dieses Farbspiel ist es, worum es geht." Das Leder mit den faszinierenden Reflexen stammt weder von einem exotischen Reptil noch von einem speziell gezüchteten Rind, sondern vom Pferd. Von der hinteren Rückenpartie des Pferdes, die Skip Horween, Gerber in vierter Generation, einfach als "Butt" bezeichnet, Pferdehintern.
Schuhmacher aus Amerika und Europa nutzen das als edelstes Glattleder der Welt geltende Shell Cordovan von Horween, italienische Manufakturen wie Santoni ebenso wie Alden aus Amerika, Ludwig Reiter aus Wien, Dinkelacker, die in Budapest fertigen lassen, und natürlich die Briten von Church's bis Crockett & Jones. In Deutschland stellen kleine Manufakturen wie die von Bernd Kreis im hessischen Obertshausen Gürtel und Aktentaschen daraus her, das Unternehmen Kaufmann aus Mülheim bei Frankfurt fertigt aus Shell Cordovan maßgeschneiderte Uhrarmbänder (siehe Kasten Seite 196). Neben seinem Schimmer, den die meisten Käufer im Farbton Burgund schätzen, ist es auch die extreme Haltbarkeit, die das Leder auszeichnet.
Bereits seit dem 14. Jahrhundert sind diese Eigenschaften bekannt. Der Rossspiegel, wie der hintere Teil des Rückens des Pferdes genannt wird, galt schon immer als etwas Besonderes. "Die Haut ist an dieser Stelle des Tieres außergewöhnlich dick, ungefähr 4,5 bis 6,0 Millimeter", sagt Wilfried Meyer, Professor am Anatomischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Andere Ledersorten wie Rind sind in der Regel halb so dick. Und: "Sobald die Haare entfernt sind, zeigt der Rossspiegel eine einzigartige Anordnung von Faserbündeln, die das Licht anders brechen."
Der Gerber Skip Horween weiß nichts von Collagen in der Haut und Interferenzen der Epidermis, aber wie er die Lichtbrechungen zum Vorschein bringt, das weiß er. Es ist seit 101 Jahren Familiengeheimnis. Wer das Zentrum von Chicago in Richtung Norden verlässt, kommt schnell in die tristen Vorstädte mit ihren kleinen Fabriken. Hinter einer schmucklosen Fassade an der Elston Avenue sitzt Skip Horween in einem holzvertäfelten Büro, dessen Renovierung sein Großvater Arnold ablehnte, als Skip als Jungspund im Familienunternehmen begann. "Wir haben es dann halt so gelassen."
Bevor Horween Besucher in die verwinkelten Hallen der Gerberei mitnimmt, hält er unbedarften Gästen einen Kurzvortrag. Shell Cordovan sei Natur und als solche auch mit allen Sinnen zu erleben, hin und wieder seien vor allem Amerikaner ein wenig überfordert. 45 000 "Horsehides", also Pferdefelle, verarbeite Horween mittlerweile im Jahr, als einziger Produzent weltweit nur mit natürlichen Stoffen. In den Zeiten, als Shell Cordovan noch für die Stiefel der Landarbeiter und Soldaten diente oder als Schleifmittel für Rasierklingen, waren es gut 230 000. "Wir bekommen einfach nicht genug Pferde", sagt er. Je nach Größe des Pferdes und des Schuhs reicht ein Fell für maximal zwei Paar Schuhe. Seine Felle kommen mehrheitlich aus Frankreich, der Rest aus dem französischen Teil Kanadas. Amerikanische Tiere seien zu klein, andere Nationen könnten weder die nötige Menge noch Qualität liefern.
Auf Paletten landen die Pferdefelle bei Horween, wo zwei Mitarbeiter sie grob zurechtschneiden. Nur wenig später versinken die Felle, locker über eine Holzstange gehängt, in großen Steinbecken. Hier werden sie für 30 Tage gelagert. "Wir haben in der Produktion nur eine Devise: Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen", sagt Horween. Eigentlich heißt er mit Vornamen nicht Skip, sondern Arnold III. Arnold hießen schließlich schon sein Vater und sein Großvater. Aber nur Besuchern aus Japan gibt er seine förmliche Visitenkarten mit dem bürgerlichen Namen, alle anderen bekommen die Version mit Skip.
Wenn es ein Schuhmacher besonders eilig hat, muss Horween ihn schon mal vertrösten. Die Edeladressen aus der Londo- » ner Savile Row etwa müssen sich bisweilen gedulden - ist eine gewünschte Färbung nicht da, muss sie erst hergestellt werden.
Die Wachse und Öle, mit denen das Leder nach und nach behandelt wird, mischt Horween in Holztanks so groß wie Babybecken im Schwimmbad. Aus gemahlenem Akazien- oder Ahornholz gewinnt er einige seiner Gerbstoffe, andere sind aus exotischeren Hölzern wie Quebracho, einem argentinischen Strauch aus der Familie der Sandelholzgewächse.
Nach dem ersten langen Bad in Borkenholzlösung wirkt die Haut weich und aufgeweicht wie ein Schwammtuch, mit einem Fingerdruck überprüft Horween, ob der erwünschte Status erreicht wurde. Bleibt der Fingerabdruck, ist das Fell bereit. "Als mein Großvater Isadore das Unternehmen 1905 gründete, haben sie noch ins Leder hineingebissen, um die Qualität zu prüfen", erinnert sich Skip. Erst als sein Vater versprach, der Junge müsse nie mehr ins Leder beißen, willigte Arnold III. ein, die Familientradition fortzuführen.
Hat das Leder die ersten Stufen der Verarbeitung hinter sich, ist in einem Querschnitt zu erkennen, was Shell Cordovan von anderen Ledern unterscheidet. Die Haut scheint aus zwei Schichten zu bestehen, ein dunkler Streifen wird zu den äußeren Enden des Materials hin immer dünner, bevor er gänzlich verblasst.
Dann ist Zeit für das Einwachsen des Leders, selbstverständlich von Hand. Wird das Leder nicht gewachst, bleibt es hellbraun, matt, trocken und bekommt feine Risse, sobald es hart geknickt wird. Erst die Fette, die ins Leder ziehen, geben ihm die Haltbarkeit. 90 Tage haben die eingeriebenen Fette im Lager Zeit, in die bearbeiteten Felle einzuziehen, danach wird gefärbt und als vorletzter Schritt wird eine Rolle schnell mit großem Druck für wenige Sekunden übers Leder geführt, danach wartet Lorenzo mit seinem Schwamm. Anschließend fühlt es sich cremig an, ohne einen Fettfilm auf den Fingern zu hinterlassen.
Alle Farben sind grundsätzlich möglich, am beliebtesten ist jedoch das Burgunder-Rot, das sich bei allen renommierten Schuhmachern findet. Bei Horween heißt es einfach No. 8, benannt nach dem verwendeten Farbstoff. "Das mit der Farbe hat sich mit den Jahrzehnten so entwickelt, das natürliche helle Braun, ist nie gefragt ewesen", sagt Skip. Er selber hat eine Kollektion von Schuhen in Farben von Rot bis dunkelblau, die manchen Gentleman neidisch, seine Frau aber sauer macht. "Es sind ihr einfach zu viele", erzählt er über die Modelle, die ihm begeisterte Schuhmacher aus aller Welt als Dankeschön schicken. Einen Gutteil verwahrt er im Büro, um weitere Diskussionen daheim zu vermeiden. Nur Schuhcreme, die sucht man in Skips Büro vergebens. "Das ist bei Shell Cordovan eigentlich nur zum Polieren nötig. Die meisten Männer nehmen eh zu viel Schuhcreme." n
Maß der Dinge.
Schuhe, Gürtel, Taschen: Die Vorzüge des Pferdeleders Till Reiter kennt die Schwächen der Männer: mangelnde Rücksicht und nachlässige Materialpflege. Gerade deshalb empfiehlt er Schuhe aus Shell Cordovan: "Schuhe aus diesem Leder kann man tragen, ohne besondere Rücksicht zu nehmen, und sie müssen nicht übermäßig gepflegt werden", sagt Reiter. Seiner Familie gehört die Wiener Schuhmanufaktur Ludwig Reiter. 690 Euro kostet ein Paar Halbschuhe aus Pferdeleder von Horween bei den Reiters. Die Nachfrage übersteige das Angebot deutlich. Das Material sei etwas unberechenbarer als andere Leder, aber der Glanz der rotbraunen Modelle besitze einen "ungeheuren Charme", findet er. "Beim schwarzen Schuh fragt man sich aber schon manchmal, ob das unbedingt sein muss." Bleibt als Argument die Haltbarkeit des Leders, das allerdings auch eine schlechtere Luftdurchlässigkeit besitze. (ludwig-reiter.com) Das spielt beim Gürtel keine so große Rolle. Bernd Kreis verwendet Shell Cordovan für Gürtel, Collegemappen und Aktentaschen. Das Burgunder-Rot, auch Oxblood genannt, ist für ihn immer noch Maß der Dinge. "Diesen Ton bekommen Sie mit keinem anderen Leder hin", sagt Kreis. Rund 230 Euro kostet ein Kreis-Gürtel, zwischen 1800 und 4000 Euro die Collegemappen und Aktentaschen. (kreisderguertel.de) Deutlich günstiger sind verständlicherweise die Uhrarmbänder aus Pferdeleder. Es ist so robust, dass es selbst den Gang ins Wasser unbeschadet übersteht. Der Glashütter Hersteller Nomos liefert seit Jahren seine Modelle von Haus aus mit Pferdelederarmbändern aus, die von Hersteller Fluco in Furth am Wald stammen. (fluco.de) Cornelius Kaufmann führt unter eigenem Namen ein Unternehmen für edle Uhrarmbändern. Für 22 Uhrmarken hat er Maßanfertigungen im Programm, auf Wunsch auch aus Pferdeleder. Wer es geschafft hat, sein Shell Cordovan zu zerschleißen, bekommt Ersatzarmbänder ab 30 Euro. (corneliuskaufmann.de) Wer mehr über Schuhe, Leder und die Pflege wissen möchte, findet alle Antworten in dem umfassenden Nachschlagewerk "Alles über Herrenschuhe" von Helge Sternke, erschienen im Verlag Nicolai (79,90 Euro).
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