Ich habe einen kurzen Text über die ‚Havanna‘ falsch einsortiert, nämlich in einen nicht-öffentlichen Forumsbereich. Deswegen nun hier insgesamt eine Art Würdigung dieser Uhr, die es nicht mehr gibt:
Beim Gestalten von Ziffernblättern, also dem Gesicht einer Uhr, leiten zwei Grundorientierungen: Opulenz und Restriktion. Entweder man überlädt es, oder man entkernt es. Manche Modelle von Hublot, von Breitling und viele dieser G-Shocks von Casio stehen für das eine; eine Movado, im Grunde auch Nomos, für das andere. Die ewigen Opponenten sind das Dionysische und das Apollonisische; Fülle gegen Klarheit, Konsum versus Minimalismus, Saufen gegen Denken, der Rausch gegen das Gesetz. Nomos etwa hat sich hier von Anfang an eindeutig positioniert; andere hingegen überfrachten ihre Gesamterscheinung bis hin zur Unablesbarkeit dessen, was wie vorgeben, zeigen zu wollen. Solche Uhren erfüllen eine gänzlich andere Funktion.
Rainer Brand nun ist diesen Polen bei der ‚Havanna‘ ausgewichen: Er hat sich für die Dezenz entschieden und damit auf alle Insignien verzichtet, die auf etwas anderes als sich selbst verweisen. Es ist keine Protzuhr, keine Designuhr, weder technischer Leckerbisssen, noch Geldanlage. Und doch ist es keine Allerweltsuhr; sie ist nicht unscheinbar. Warum nicht?
Rainer Brand hat bei der ‚Havanna‘ versucht - und es ist ihm gelungen - diese zwei Prinzipien der Fülle und der Leere zu kombinieren, ohne sie in einem lauen Durchschnitt zu vermischen: Es ist kein Brei dabei herausgekommen.
Für die Leere etwa steht die Beschränkung auf zwei Farben, auf Blau und Silber, auf zwei Formen, Kreis und Dreieck; oder die fein gezeichnete Minuterie, die er bei der Panama leider aufgegeben hat und die damit in den Funktionsbereich von Bahnhofsuhren aufgerückt ist.
Für die Fülle etwa stehen die lanzettierten Losagne-Zeiger, der Marken-Schriftzug, die ‚12‘, das dreiteilige Gehäuse und das gerillte Ziffernblatt, das je nach Lichteinfall changiert, blinkt und schimmert.
All dies ist stimmig aufeinander bezogen, wohl proportioniert und kein Teil, weder Zeiger noch Ziffern, tut sich auf Kosten eines anderen hervor, sondern bescheidet sich mit seinem Platz im Gesamtgefüge. Das ist, als würde eine Partei auf einen Parteivorsitzenden verzichten. Die ‚Havanna‘ ist die Anti-Hierarchie-Uhr. Sie brüllt nicht und sie schreit nicht herum: ‚Schau’ mich an! Schau’, wie geil ich bin! Kauf mich! Kauf mich!‘ Sie ist nicht überkandidelt und muss daher in einer Welt, in der nur noch Schreihälse und Wichtigtuer überleben, untergehen.
Ohne auf weitere Details der Uhr genauer einzugehen hier nur noch zwei Aspekte:
1. Obwohl alle Komponenten so wohlgefällig aufeinander bezogen sind - wechselwirken - so fällt doch die Krone, dieses seltsame Zwiebelding optisch als deplatziert heraus. Warum baut RB hirnrissigerweise so einen Kloben an seine schöne Uhr? Nun, es ist Absicht. Wie jeder Kulturmensch weiß, lebt die Welt vom und aus dem Antagonismus. Ohne Pol kein Gegenpol. Ohne Arktis keine Antarktis. Ohne Hü kein Hott. In der japanischen Küche etwa flicht der Koch in die Folge eines geziemenden Mahls immer ein Gericht ein, das nicht schmeckt. Das absichtlich nicht schmecken soll. Es ist der Kontrapunkt, der damit den Rest erst zum Schwingen bringt. Die abendländische Tafelmalerei kennt dasselbe Prinzip: Jedem Stillleben, jedem überquellenden Fruchtkorb ist eine tote Fliege beigemalt. Das Memento Mori; das Carpe Diem; der Satz zum Gegensatz. Daher: Die plumpe Krone zur Restästhetik.
2. Die Havanna hat wie die Panama einen überstehenden Sekundenzeiger, der allerdings bei der Havanna in einer Art Öse endet, einer Scheibe mit deaxialem Loch, ähnlich dem Breguet-Loch, also nicht ganz mittig; ich weiß nicht, wie die Uhrmacher diesen Überstand nennen.
Jedenfalls dieses Loch: Es überstreicht genau - jede Minute wieder - ganz exakt das 'H' und das Schluss-a von 'H'avann'a'.
Rainer Brand hat also diesen Namenszug in Kombination mit dem Sekundenzeiger so fein austariert und - ja - komponiert, auf den Hundertstel-Millimeter positioniert, dass sozusagen die Zeit Anfang und Ende des Ortes umschreibt, eine Art von 'Urbi et Orbi', dem österlichen Grußwort und Segen des Papstes vergleichbar.
Diese feine Symbolik, die beiden Grundkonstanten menschlicher Existenz - Ort und Zeit - das Gefüge also innerhalb dessen wir leben, gedeihen und sterben, überwölben zu lassen von einem Zeiger und damit ewiger Wiederkehr: Das ist außerordentlicher Feinsinn.
Das menschliche Auge schaut also gleichsam auf diesem Ziffernblatt durch dieses Loch, also durch die Leere hindurch - eine Anspielung auf das Advaita-Vedanta - genau auf das 'H' und das ‚a'.
Und 'H' und 'a' ergeben: 'Haha.'
Das ist der kosmische Witz. Das ist der Bauch des Buddhas. Das ist dass Lachen der Existenz. Das ist genial. Darin ist Barmherzigkeit.
Ich habe mich ja mal sehr für Uhren interessiert, kannte diesen Heel-Uhrenkatalog auswendig und bin sogar auf Messen gegangen, aber solche Intelligenz habe ich nicht bei den teuersten Uhren gefunden. Deswegen war mir die Havanna nie nur eine Uhr, sondern immer ein Memento esse und deswegen habe ich sie gekauft, also nicht nur deswegen, aber ich fand die klug entworfen. Wenn man so will: Ein Meisterstück. Mit der Panama natürlich ist das alles vorbei.
Die ‚Havanna‘ von Rainer Brand gleicht die Extreme aus, an denen unsere Gesellschaft zu Grunde gehen wird. Statt sich an Quote, Umsatz und Superlativ abzuarbeiten und zu demütigen, also Halt in einer Fiktion von Realität zu suchen, im beständigen Mehr, Mehr, Mehr, sucht und findet sie einen dritten Weg: Sein ohne Scheinen. Damit ist sie in gewisser Weise im besten Sinne eine unscheinbare Uhr. Das lässt sie so herausragen.
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