Zitat von bratsche im Beitrag #1

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Habt ihr auch einschlägige Erinnerungen, Gedanken, Fotos etc.? Vielleicht kommen hier ja einige zusammen.

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Eigentlich wollte ich bloß ein paar Zeilen schreiben, dann hab ich mich dran erinnert, daß ich mit dem iPhone auch fix ein paar alte Fotos scannen und hochladen kann... Und ein paar mehr Zeilen sind's auch geworden, der ein oder andere kann es vielleicht nachvollziehen.

Ich bin mit der DDR aufgewachsen. In den 70ern und 80ern habe ich in der Schule einiges über die DDR gelernt, ihr Staats- und Wirtschaftssystem. Es gab zwei deutsche Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, die man auf keinen Fall "BRD" nennen durfte, und die DDR. Genaugenommen war mein Land die "Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West)", aber das war nun wirklich zu lang. "Westdeutschland", das war der Name des Staates, in dessen Westen ich lebte, weit weg vom Osten, den meine Großeltern immer "Ostzone" oder einfach "die Zone" nannten. Verwandtschaftliche Beziehungen nach drüben hatte ich keine, die DDR war einfach ein weißer Fleck auf der Karte, der Beginn des Ostens, das Vorzimmer der UdSSR. Ob ich in der Grundschule schon etwas über die DDR gelernt habe, weiß ich nicht mehr; am Gymnasium dann aber immer wieder, in den verschiedensten Fächern. So, wie man sich (rückblickend betrachtet) auf die ständig wiederkehrende Aufarbeitung des Nationalsozialismus verlassen konnte, so tauchte auch die DDR immer wieder auf. Natürlich auch in den Fernsehnachrichten, die DDR war schon ein besonderer Nachbar, immerhin auch ein Deutschland. Aber doch ganz anders.

1985 dann eine Klassenfahrt. Eine Woche Leipzig, Halle, Dresden. Wartburg, Völkerschlachtdenkmal, an viel kann ich mich nicht mehr erinnern - das ist fast 30 Jahre her. Viele Fotos habe ich auch nicht, aber die paar, die ich habe, sind ein guter Eindruck meines DDR-Bildes. Hier ein paar davon, auf denen meine Mitschüler nicht drauf sind (meine Fresse, sahen wir scheiße aus in den 80ern...):

Ein paar Eintrittskarten


Realsozialistische Pompösarchitektur in Halle (der Typ in der Mitte mit der hellen Umhängetasche bin ich...)


Wie aus einer anderen Zeit...




Zu dieser Zeit in meinem Westen undenkbar, solche Ruinen






Solche Häuser wurden bewohnt


Sehr faszinierend für uns Wessis: die lokalen Automobile

(ich frage mich, was der gelbe Benz da zwischen den Trabbis macht)



Solche Bilder habe ich aus der DDR mitgenommen, auch im Kopf. Ich erinnere mich, daß in Leipzig die Hauptstraßen "schön" renoviert waren, sobald man in eine Seitenstraße blickte, sah man bröckelige Fassaden mit halbblinden Fenstern. Positiv war, daß es hervorragende Fachbücher äußerst günstig gab - hätte ich damals schon gewußt, was ich später studieren würde, hätte ich mir tonnenweise Literatur mitgenommen. So war es nur ein (sehr gutes) Chemiebuch, dessen Seiten nach kurzer Zeit völlig vergilbt waren - auch das passte in mein Bild. Die DDR war einfach etwas völlig anderes, ein (von uns) isoliertes Land, in einigen Bereichen rückständig, kaputt, die Menschen unfrei. Die beiden deutschen Staaten sind absolut inkompatibel, die Mauer wird ewig stehen - allenfalls wird der Osten sie noch undurchlässiger machen. Damit bin ich aufgewachsen.

Ende der 80er beginnt es zu rumoren im Osten. Demonstrationen in der DDR. Menschen gehen auf die Straße und forderten ihre Freiheit ein. Mutig, sehr mutig. Man hört ja so viel von Leuten, die in Stasikellern verschwinden... Man hört aber auch immer öfter von Fluchten, durch Ungarn und Österreich. Für mich ist es eine der ganz großen politischen Entscheidungen, daß der sozialistische Bruderstaat Ungarn damals die Grenze nach Österreich irgendwann aufgemacht hat. Der DDR laufen die Leute in Scharen weg, und die noch da sind, protestieren - trotzdem, der Staat wankt, aber er fällt nicht. Alles wartet auf den großen Knall, daß die DDR-Oberen das Militär aufs eigene Volk schießen lassen. Kann gar nicht anders sein, so war das doch schon immer.

Am 9. November 1989 war ich zu Besuch bei meiner Mutter. Es war ein schöner Abend, gab lecker zu essen, die Nachrichten liefen. Dort bahnte sich Ungeheuerliches an. Die legendären Worte von Schabowski. Dann natürlich Sondersendungen auf allen Kanälen - die Mauer ist offen! Unvorstellbare Fernsehbilder. Unglaublich. Nicht zu fassen. Surreal. An diesem Abend ist für mich ein Weltbild zusammengebrochen. Alles, was ich mein Leben lang gehört, gelesen, gesehen, gelernt hatte über Ost und West, über den Sonderstatus von West-Berlin, über den eisernen Vorhang, und besonders über die innerdeutsche Grenze, die Mauer - alles war plötzlich nicht mehr wahr. In wenigen Tagen (es dauerte etwas, bis mir klar war, daß das jetzt so bleibt, daß die DDR-Funktionäre nicht nochmal zurückrudern können) war alles anders, die Welt war plötzlich freier geworden. Es gab viele Fragezeichen - bleibt die DDR ein eigener Staat, gibt es eine Wiedervereinigung, einen deutschen Staatenbund? Aber der Prozess an sich war unumkehrbar. Die Mauer war weg.

Ich bin jetzt Ende 40. Der Abend des 9. November 1989 ist bis heute eins meiner stärksten Erlebnisse.