ich möchte Euch heute einen sogenannten Pseudo-Chronographen vorstellen. Was heißt „Pseudo-Chronograph“? Diese Bezeichnung wird zwar häufig verwendet, sie ist aber meines Wissens nirgends dokumentiert. Es handelt sich hierbei um eine Uhr mit einer Stopp-Möglichkeit. Diese funktionierte aber nicht so, wie wir es von den heutigen Chronographen kennen.
Bei der vorgestellten Uhr funktioniert die Kurzzeitnahme wie folgt: Es soll z.B. die Dauer eines Arbeitsvorgangs ermittelt werden. Wenn der stets mitlaufende rote Sekundenzeiger durch die „12“ läuft, wird der Drücker bei der 8-Uhr-Position gedrückt. Nun bleibt nicht nur der Sekundenzeiger stehen, sondern auch das gesamte Uhrwerk. Bei Beginn des zu messenden Vorgangs wird der rote Sekundenzeiger und somit auch das Werk mit dem Drücker bei der 10-Uhr-Position gestartet. Bei Vorgangsende kann dann der Sekundenzeiger (und auch das Werk) wieder mit dem 8-Uhr-Drücker angehalten und die verstrichene Zeit abgelesen werden. Diese Art zu messen funktioniert bei kurzen Zeitintervallen problemlos. Wenn aber z.B. eine längere Zeit gemessen werden soll, ist es ratsam, als erstes den Minutenzeiger auf die Zwölf zu stellen und dann den Stoppvorgang auszulösen. Auf diese Weise kann man dann längere Intervalle (beispielsweise die eigene Joggingzeit oder die Spielzeit bei diversen Sportarten) messen. Der Nachteil dieser Pseudo-Chronographen ist aber, dass durch den zwischenzeitlichen Stillstand des Werkes nach den Stoppvorgängen die Uhr neu gestellt werden muss.
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Nun zur Uhr:
Ich habe nach dieser Uhr schon sehr lange gesucht, weil mir in erster Linie das Zifferblatt gefiel. Die angebotenen Uhren sollten stets Preise erzielen, die keinesfalls gerechtfertigt waren. Vor Weihnachten ergab es sich, dass in der Bucht diese Uhr in einem akzeptablen Zustand angeboten wurde, allerdings für Bastler, da sich die Aufzugswelle nicht montieren ließ. Ich habe die Uhr ersteigert und revidiert. Es mussten die Aufzugswelle (die mitgelieferte passte nicht zum Werk) und das Glas ersetzt werden. Die richtige Aufzugswelle hatte aber ein größeres Gewinde für die Krone (M1,4 an Stelle von M1,2). So musste auch noch die Krone angepasst werden. Es stellte sich heraus, dass es sich beim Werk um ein 13-liniges Stiftankerwerk in Rosskopf-Bauform von der Fa. Brac handelte. Cal.-Bezeichnung 42. Das Werk ist in einem altersüblichen Zustand, hält aber recht gut die Zeit. Erste Versuche auf der Werkbank mit ZB oben ergaben eine Abweichung von plus 2 min/Tag. Ich werde sie tragen und dann ggfs. Nachjustieren. Leider kann ich zum Abgleichen meine Zeitwaage nicht verwenden, denn das Werk taktet mit der unüblichen Halbschwingungszahl von 17.280 A/h. Das Gehäuse hat feste Stege, daher habe ich ein Durchzugsband montiert – leider etwas zu schmal.
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Bedauerlicherweise sind die Informationen im Internet, was den Hersteller (Basis) als auch den Werklieferanten (Brac) betrifft, nicht besonders üppig.
Basis ist der Markenname der Fa. A. Thommen in Tecknau in der Schweiz. Im Buch „Lexikon der Uhrenmarken“ ist folgendes ausgeführt:
Die Basis Watch in Trecknau war ein Hersteller preisgünstiger Stiftankeruhren. Gegründet von M. Thommen war das Unternehmen bis in die 1990er Jahre aktiv. Das Firmengebäude wurde 1997 von der Gemeinde Trecknau übernommen. Anmerkung: Ich habe nirgends bei meinen Recherchen einen Zusammenhang der Fa. A. Thommen zur Fa. Revue-Thommen gefunden. Ich denke, dass es sich nur um eine Namensgleichheit handelt.
Der Uhrwerkhersteller „Brac“ produzierte eine Vielzahl verschiedener Kaliber mit Stiftankerhemmung. Die Fa. Brac wurde 1904 in Breitenbach (Solothurn) gegründet. Bedingt durch das Schweizer Uhrenstatut von 1931 war es Brac nur erlaubt Stiftankerwerke zu produzieren. Vermutlich durch die Quarzkrise kam Brac in Schwierigkeiten und wurde von Ronda übernommen.
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Die Zifferblatt-Skalen
Das Zifferblatt hat am Rand eine Telemeter-Skala. Diese dient dazu, z.B. die Entfernung eines Gewitterzentrums vom Standort zu ermitteln. Wenn der Blitz sichtbar ist, wird der Sekundenzeiger gestartet. Hört man das Donnern wird der Zeiger gestoppt. An der roten Skala kann dann die Entfernung in Kilometer abgelesen werden. Basis der Berechnungen, die zu der roten Skala geführt haben, ist eine Schallgeschwindigkeit von 333,3 m/s.
Mittig befindet sich die blaue Spiraltachometer-Skala. Am äußeren Ring sind die Fahrzeug-Geschwindigkeiten abzulesen, wenn für den Bezugskilometer weniger als 60s gemessen wurden. Geht der Sekundenzeiger in die zweite Runde (also zwischen 60 und 120 Sekunden) steht die Geschwindigkeit am mittleren Ring. Bei Messwerten zwischen 120 und 180 Sekunden wird die Geschwindigkeit am inneren Ring abgelesen. Es sieht kompliziert aus, ist es aber nicht – wenn man sich einmal damit auseinandergesetzt hat.
Viele Grüße Karsten
Auch für Uhrenbastler gilt: Erfahrung ist die Summe der Misserfolge
das ist ja mal eine sehr interessante Uhr. Bisher hatte ich von "Pseudo-Chronographen" noch nichts gehört. Um so aufschlussreicher finde ich deine Ausführungen zur Uhr und ihrer Funktionsweise, die ich mit viel Interesse gelesen habe. Mir persönlich gefällt die Uhr sehr gut und sie macht auf den Fotos auf jeden Fall einen sehr guten optischen Eindruck. Dass die Gangabweichung bei älteren Uhren nicht mit den heutigen vergleichbar, gehört einfach dazu und gibt den Uhren ihren ganz besonderen Reiz.
Schön, dass du sie wieder in Gang bringen konntest und deine Suche damit auch zu einem schönen Ende gefunden hat. Viel Freude mit Ihr und hoffentlich werden wir sie hin und wieder auch nochmals sehen.
Markus
Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich. (Afrikanisches Sprichwort)
Gefällt mir. Aber schon irgendwie komisch, dass die Uhr dann wieder gestellt werden musste. Wie und wo? Damals gabs ja sicher nicht die Flut an digitalen Uhren überall. Auf der einen Seite misst man einen Vorgang genau, auf der anderen Seite wurde die Uhrzeit dann wahrscheinlich grob nachgestellt. Das gefällt mir allerdings, meine Uhren genau meist genau, meistbist mir das aber genau egal 😀
Design finde ich gut. Gerade die Drücker auf 8 und 10
Hallo, nicht, dass da Fragen auftauchen. Krone rechts, Drücker links. Es handelt sich nicht um das Heuer Cal. 11, 12, 14 oder 15. Da war nämlich die Krone links und die Drücker rechts. Viele Grüße Karsten
Auch für Uhrenbastler gilt: Erfahrung ist die Summe der Misserfolge
Hallo Karsten, was für eine interessante und seltene Uhr hast Du da an Land gezogen. Leider kann ich inhaltlich nichts beitragen. Ich bin schon fasziniert, dass Du die unterschiedlichen Scalen und deren Funktionsweise beschreiben kannst. Da hätte ich schon versagt. Ein multifunktionales Messwerkzeug aus dem analogen Zeitalter. Unsere Vorfahren waren richtig clever. Vielen Dank für die Präsentation.
Viel Freude mit diesem Messwerkzeug. Uhr wäre hier einfach zu wenig.
Hallo Karsten, schönes Teil. Wie lange hast Du gesucht ? Und wie "grob" doch feiner Uhrenbau sein kann (konnte). Mind. 4 versch. Schrauben in einem Werk. Der Federbügel und die Klinge schleifen/kratzen mit ihrem Schnittgrat auf der Platine. Die Sicherung des Unruhkloben, der Brücke und des Federbügel einfach mit gedrückten Butzen realisiert. Was ich auch noch nie sah: Der Sperrbügel sperrt gleichzeitig Kronen- und Sperrad jeweils in der "unerwünschten" Drehrichtung. Pfiffig ! Oder gibts das häufiger ?
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Sehr informative Vorstellung, Karsten. Eine Uhr mit sehr interessanter Technik.
Zu meinen "Vintage-Zeiten" habe ich mich auch mal etwas näher mit den Pseudo-Chronos beschäftigt. Aus dem gleich Grund wie bei dir, mir gefiel das Blatt sehr. Auch an einer Basis war ich mal dran, aber wie du schreibst, erzielen diese Uhren teilweise horrende Preise bei eBay.
Unter anderem baute auch wohl Cimier solche Uhren damals. Einen Pseudo-Chrono konnte ich nie ergattern, nur diesen Cimier-Chrono mit Lapanouse-Kaliber (sorry für das Foto, dürfte aus 2008 sein...)
Dir viel Freude an dem seltenen und außergewöhnlichen Stück!
Torsten ------------------------------------------------- "WE'VE GONE TOO FAR" <The Expanse>
auch von mir herzlichen Glückwunsch zu dem Neuzugang und vielen Dank für die informative Vorstellung. Es freut mich, dass Du die Uhr zu einem guten Preis bekommen hast und wir an Deiner Freude teilhaben dürfen.
Ich finde es immer wieder klasse, was für außergewöhnliche Uhren, die ich vorher nicht kannte vorgestellt werden.
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